Man muss nicht stark sein, um Macht zu haben, dachte er. Man muss nur wissen, wo alles zusammenhält.
2. Der erste Impuls
Es begann, als seine Mutter weinend nach Hause kam. Das Krankenhaus, in dem sie arbeitete, hatte wegen einer IT-Störung alle Systeme abgeschaltet. Patientenakten weg, Termine gelöscht, Geräte im Leerlauf.
„Sie sagen, es war irgendeine ausländische Gruppe“, flüsterte sie. „Aber es hätte jeder sein können.“
Felix hörte zu und fühlte eine seltsame Mischung aus Faszination und Wut. Wie konnte ein System, das über Leben und Tod entschied, so schwach sein? Er wollte nicht zerstören. Er wollte verstehen.
3. Das Projekt
Nachts, wenn seine Eltern schliefen, wurde sein Kinderzimmer zur Kommandozentrale. Drei Bildschirme flackerten, Lüfter summten wie ein ruhiger Herzschlag. Er schrieb ein Programm, das nur beobachtete: keine Passwörter, kein Eindringen – nur Hinsehen.
Er nannte es Kassandra. Wie die Seherin, die Unheil erkannte, dem niemand Glauben schenkte. Kassandra kartierte Arztpraxen, Kliniken, Apotheken. Sie sah offene Türen, vergessene Fenster, morsche Treppen der Vernetzung. Die Zahlen waren kalt, aber die Bedeutung war heiß: Das sind keine Systeme, das sind Kartenhäuser, dachte er.
4. Der Auslöser
An einem grauen Sonntag entdeckte er eine zentrale Schaltstelle – unauffällig, aber überall verbaut, wie ein stiller Knoten in einem Netz. Ein falscher Impuls, und die Kommunikation geriet ins Stocken. In seiner Simulation blieb alles theoretisch. Einmal, aus Neugier, setzte er den Impuls „in echt“. Für Sekunden nur.
Die Welt hielt den Atem an.
Server wechselten in Wartemodus, Diagnosesysteme standen, Rezeptplattformen gaben „Verbindungsfehler“ aus. Auf seinem Bildschirm blinkten Meldungen wie Herzmonitore. Er zog den Stecker. Zu spät. Nicht sein Code, sondern die Kettenreaktion der Abhängigkeiten hatte alles in Bewegung gesetzt.
5. Der Tag, an dem niemand Medikamente bekam
Am Morgen darauf: Chaos. Arztpraxen ohne Zugriff auf Akten. Apotheken, die keine Rezepte prüfen konnten. Kliniken, die auf Papier umstellten, als hätte man die Uhr um Jahrzehnte zurückgedreht.
„Landesweite IT-Störung im Gesundheitswesen“, meldeten die Nachrichten. „Ursache unklar.“
Felix sah es im Fernsehen, während seine Mutter hektisch telefonierte. Niemand wusste, wer dahintersteckte. Er auch nicht mehr. Er hatte nichts zerstört. Er hatte sichtbar gemacht, was schon längst auf der Kippe stand.
6. Der Junge, der zu weit ging
Polizei, Behörden, Krisenstäbe – das ganze Land suchte nach einem Phantom. Felix schaltete seine Geräte aus. Doch in seinem Kopf summte es weiter, als suche das Netz nach ihm.
Wenn keiner zuhört, muss man dann schreien?, fragte er sich. Er hatte geschrien, ohne Stimme, und eine Branche zum Stillstand gebracht. Und damit Menschen gefährdet, die er nie verletzen wollte.
7. Die Erkenntnis
Als es an der Tür klopfte, waren es keine Handschellen, sondern Fragen. Zwei Anzüge, wenige Worte. Sie wussten genug. Man brachte ihn an einen Ort, an dem Erwachsene mit ihm redeten, als wäre er ein feinmechanisches Gerät, das man verstehen wolle.
„Warum hast du das getan?“
Felix sah auf seine zitternden Hände. „Ich wollte sie warnen. Ich wollte, dass sie endlich hinschauen.“
„Und? Haben sie hingeschaut?“
Er nickte kaum merklich. „Jetzt schon.“
Es folgten Ausschüsse, Kommissionen, Leitfäden. Man sprach von „Resilienz“, „Verantwortung“ und „Sorgfaltspflichten“. Niemand sprach vom Jungen. Sein Name blieb ungenannt, sein Programm wurde aus Systemen gelöscht.
Doch manchmal, spät in der Nacht, flackert irgendwo ein Server. Eine einzelne Zeile erscheint, bevor er neu startet:
„Schützt, was euch schützt.“




